Versteckte Kosten der Klimawandel-Anpassung – auch im Tierreich

Wie reagieren Organismen an der Basis des Nahrungsnetzes auf ein sich veränderndes Klima? Wie passen sie sich über mehrere Generationen hinweg an – und um welchen Preis? Ein Laborexperiment an der Universität von Vermont legt nahe, dass Copepoden, winzige Ruderfußkrebse aus dem Zooplankton, auch unter zukünftigen Lebensbedingungen im Ozean gedeihen können. Aber nach mehreren Generationen veränderte sich ihr genetisches Material derart, dass sie weniger gesund und weniger widerstandsfähig gegen andere Formen von Stress waren. [...]

Man stelle sich vor, es wäre möglich, zwanzig Generationen von Walen oder Haien dabei zu beobachten, wie sie sich an den Klimawandel anpassen, und zu messen, wie sie sich entwickeln und wie sich ihre Biologie bei steigenden Temperaturen und Kohlendioxid-Konzentrationen verändert. Das könnte viel darüber verraten, wie widerstandsfähig das Leben in den Ozeanen gegenüber einer wärmeren Welt sein könnte. Aber ein solches Vorhaben würde auch Hunderte von Jahren dauern – und wäre damit nicht sehr hilfreich für Wissenschaftler:innen, die versuchen, diese Veränderungen zu verstehen, und für politische Entscheidungsträger:innen, die nach Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels und zur Anpassung an die Risiken suchen.

Im Gegensatz dazu pflanzt sich der Copepode Acartia tonsa, ein winziger Ruderfußkrebs am unteren Ende des Nahrungsnetzes, der vielen wirtschaftlich bedeutenden Fischarten als wichtige Nahrung dient, innerhalb von etwa zwanzig Tagen fort, wird erwachsen und erzeugt eine neue Generation. Zwanzig Generationen vergehen in etwa einem Jahr. Um mehr darüber zu erfahren, wie sich diese planktonischen Tiere an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassen können und welche langfristigen Auswirkungen der Anpassungsprozess hat, setzte ein Team von Forschenden Tausende von Copepoden hohen Temperaturen und hohen Kohlendioxid-Konzentrationen aus. Die Studie wurde an der Universität von Vermont durchgeführt und von Professor Dr. Reid Brennan geleitet. Der Meeresbiologe wechselte im Oktober 2021 ans GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, um dort als Juniorprofessor die Forschungsgruppe „Marine Ökologische Genomik“ im Forschungsbereich Marine Ökologie zu leiten.

„Es ist enorm wichtig, zu verstehen, ob sich diese Arten von Organismen als Reaktion auf globale Veränderungen weiterentwickeln können“, sagt Professor Dr. Brennan. „Sie bilden die Basis des Nahrungsnetzes. Ohne sie gäbe es keine Fische im Ozean.“ Im Rahmen seiner Arbeit am GEOMAR wird er weiter untersuchen, wie Copepoden auf Klimastress reagieren, ob sie in der Lage sind, sich über Generationen hinweg anzupassen, und welche evolutionären Rettungsmechanismen diese Arten entwickeln. Grundlage für seine Arbeit sind kontrollierte Experimente in Klimakammern und anschließende Genomsequenzierungen im Labor. „Diese Arbeit ist von großer Bedeutung, wenn wir die Zukunft unseres Ozeans verstehen wollen. Ich denke, das ist eine große Herausforderung für das Fachgebiet, und wir haben noch viel Arbeit vor uns.“

An der Universität von Vermont beobachteten Professor Brennan und seine Betreuerin Professor Dr. Melissa Pespeni zwanzig Generationen von Acartia tonsa bei deren Entwicklung unter steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen und Temperaturen, wie sie für die Zukunft der Ozeane vorhergesagt werden. Anschließend wurden einige Copepoden für drei weitere Generationen zu den Ausgangsbedingungen zurückgebracht, die dem heutigen Ozean ähneln.

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Die Beobachtungen des Teams stützen die Idee, dass Copepoden gegen die rasche Erwärmung und Versauerung des Ozeans resistent sein könnten, die als Reaktion auf die Nutzung fossiler Brennstoffe durch den Menschen bereits eingesetzt hat. Nach der Rückkehr zu den ursprünglichen Bedingungen offenbarten die Tiere jedoch die versteckten Kosten der früheren zwanzig Generationen der Anpassung: Die Flexibilität, die es den Ruderfußkrebsen ermöglichte, sich über zwanzig Generationen hinweg weiterzuentwickeln – was die Wissenschaft als „phänotypische Plastizität“ bezeichnet – ging verloren, als sie versuchten, zu den zuvor günstigen Bedingungen zurückzukehren. Die Copepoden waren weniger gesund und produzierten kleinere Populationen. Sie waren nicht mehr in der Lage, ein begrenztes Nahrungsangebot zu tolerieren, und zeigten eine geringere Widerstandsfähigkeit gegenüber anderen neuen Formen von Stress.

Die neue Studie stützt die Annahme, dass Copepoden zu einer breiten Gruppe von Arten gehören, denen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber einem raschen Klimawandel vorausgesagt wird. „Aber wir müssen uns vor allzu einfachen Modellen hüten, die nur eine einzige Variable betrachten, um zu beurteilen, wie gut es den Arten gehen wird und welche von ihnen in der Zukunft überleben werden“, betont Professor Dr. Brennan. Außerdem legt die neue Studie eine übergeordnete Erkenntnis zur Evolution nahe: Es kann unvorhergesehene Kosten geben, wenn man sich in einer zügig erwärmenden Welt schnell weiterentwickelt.

(PM Geomar, gekürzt, Weitere Informationen unter geomar.de)


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