Interview: Management von Strandanwurf

Strandanwurf (Treibsel), der vielerorts an den Küsten zu finden ist, bezeichnet meist ein Gemisch aus abgerissenem Seegras, Makro- und Mikroalgen, Muscheln. An bewirtschafteten Stränden entstehen durch die regelmäßige Beräumung des Strandes hohe Kosten für die Küstengemeinden. Dabei werden die positiven Aspekte von Strandanwurf bzw. die mit der Beräumung entstehenden Umweltfolgen nicht berücksichtigt. Es stellt sich somit die Frage, wie ein Gleichgewicht zwischen der Nachfrage nach „sauberen“ Stränden, Umweltschutzbelangen und Wirtschaftlichkeit hergestellt werden kann. Das Projekt CONTRA zielte daher darauf ab, herauszufinden, wie Küstengemeinden im Ostseeraum mit Strandanwurf umgehen, und dazu beizutragen, das „öffentliche Ärgernis“ in eine wahrzunehmende Ressource mit wirtschaftlichem Wert umzuwandeln.

Im EUCC-D Interview berichtet die wissenschaftliche Projektkoordinatorin, Dr. Jana Wölfel von der Universität Rostock, von neuen Forschungsergebnissen, möglichen Wertschöpfungsketten und zu überwindenden administrativen Hürden.

EUCC-D: Strandanwurf oder auch Treibsel ist an vielen Stränden der Ostsee üblich. Warum hat sich CONTRA  diesem Thema gewidmet?

In den letzten dreißig Jahren ist das Interesse rasant gestiegen, Strände von als lästig empfundenem Treibsel zu reinigen, da sich die Vermarktung von Sandstränden für den Tourismus global, aber auch national, drastisch verändert hat. Wir wissen jedoch viel zu wenig über das Ökosystem Sandstrand und die Auswirkungen, die die ständige Entfernung von Treibsel mit sich bringt. Bisher hat das Interesse für Landschaftsökologen bei den Dünen aufgehört, für Meeresforscher beginnt es erst in der Wasserzone, meist auch eher in größeren Wassertiefen. Mit Blick auf Treibsel gibt es in diesem Zusammenhang überraschend wenige Studien über den Sandstrand, vielleicht weil große Bereiche eher einen wüstenähnlichen Charakter haben. Neben diesen offenen, wissenschaftlichen Fragen wächst auch der gesellschaftliche und politische Druck auf die Beteiligten (z.B. Kommunen, Behörden, Unternehmen). Es entstehen somit viele interessante Konfliktfelder und verschiedene Ansichten zur Ökonomie, Ökologie, Gesellschaft und Gesetzgebung, die in CONTRA erstmals international diskutiert wurden.

Was wurde im Projekt erreicht?

Ein Hauptanliegen war es, herauszuarbeiten, wie Treibsel an Sandstränden ressourcenorientierter aufgesammelt und ökonomisch genutzt werden kann. Dabei haben wir uns auf bewirtschaftete Strände konzentriert, an denen Treibsel regelmäßig während der touristischen Saison entfernt wird. Uns war von Anfang an bewusst, dass die größte Herausforderung für die Kommunen darin besteht, wie mit dem Treibsel nach der Entfernung umzugehen ist. In CONTRA integrierten wir das vorhandene Expertenwissen aus dem Ostseeraum und testeten erfolgreich eine Reihe nachhaltiger Nutzungsmöglichkeiten. Mit der Herausgabe von konkreten Empfehlungen und Hinweisen, die in einer Reihe von Berichten zu lesen sind, hoffen wir nun auf eine vermehrte öffentliche Diskussion. In einem „Policy brief“ sind unsere Erkenntnisse und Forderungen an die Politik klar definiert.

Es ist auch ein Toolkit für das zukünftige Treibsel-Management entstanden. Für wen ist es gedacht?

Das „Toolkit“ ist eine Zusammenfassung aller Erkenntnisse des Projektes, einschließlich praktischer Informationen zu den sechs verschiedenen Nutzungsoptionen (Fallstudien) sowie von Umweltbewertungen, rechtlichen Rahmenbedingungen, Wertschöpfungsketten und der Sozioökonomie. Es dient als Referenz und als Entscheidungshilfe für die Entwicklung eines nachhaltigen und umweltfreundlichen Strandmanagements.

Die Hauptzielgruppen werden die Behörden der Küstenregionen sein, die maßgeblich für die Strandbewirtschaftung zuständig sind. Darüber hinaus ist es auch für die KMU in den Bereichen der Ressourcen- und Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft und Landwirtschaft relevant, einschließlich der Behörden, die für die Kontrolle von Schadstoffen und Emissionen sowie im Küstenschutz autorisiert sind. Es ist auch für Vertreter des Energiesektors, der Tourismusindustrie, Forschungsgruppen, Naturschutzorganisationen und politische Entscheidungsträger interessant.

Welche Forschungsfragen sind in CONTRA offen geblieben?

Meiner Meinung nach ist aus ökologischer Sicht die interessanteste, wissenschaftliche Lücke das fehlende, küstenweite Monitoring von Treibselmengen und -zusammensetzung in einem größeren Maßstab und über mehrere Jahre hinweg. Darüber hinaus sollte die Belastung mit Müll und anderen Schadstoffen untersucht werden, begleitet von einer detaillierteren Analyse der ökologischen Rolle von Treibsel im Strandökosystem. Weiterhin wissen wir derzeit noch zu wenig über die Freisetzung von Nährstoffen und Treibhausgasen durch die Zersetzung der unterschiedlich zusammengesetzten organischen Biomasse. Auch der Beitrag zum Küstenschutz und die mögliche Erhöhung der Biodiversität von Flora und Fauna in Dünen und Spülsäumen sollten in den Vordergrund gerückt werden. In Bezug auf administrative Vorgänge schlagen wir vor, die Gesetzgebung so zu verändern, dass diese flexibel auf die Verwendung von bereits entfernten Treibselmengen ausgerichtet wird, aber auch die übermäßige Entnahme reguliert. Wir zeigen auf, wie die Zusammenarbeit mit Unternehmen auf lokaler Ebene und weitere Forschungsideen gefördert werden könnten. Zukünftig möchten wir das im Rahmen von CONTRA entstandene internationale Netzwerk weiter ausbauen, das den Wissensaustausch von Forschung und Anwendung ermöglicht. Dafür hat unser Projektpartner EUCC-D das „Beach Wrack Network“ gegründet, zu dem alle interessierten Stakeholder herzlich einladen sind.

Welche Projektergebnisse sind für Strandmanager und Politiker relevant?

Es ist entscheidend, die Umwelt- und Biodiversitätsrisiken einer intensiven Strandbewirtschaftung vor dem Hintergrund der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) und der neuen Biodiversitätsstrategie im gesamten Ostseeraum zu validieren und zu kontrollieren. Daher würden wir es sehr begrüßen, wenn die Treibselansammlungen in die Diskussion aktueller Indikatoren/Deskriptoren in der MSRL einbezogen würden, da sie auch einen „guten Umweltzustand“ der Ostsee repräsentieren. Außerdem müssen Gemeinden und Kommunen stärker zusammenarbeiten, um nachhaltige sowie marktfähige Nutzungsoptionen in ihr Management zu integrieren. Diese sollten den lokalen Anforderungen an den Küstenschutz gerecht werden und methodisch optimiert werden, um die Aufnahme von großen Sandmengen während der Strandreinigung zu vermeiden. Nicht zuletzt ist es wichtig, einen Markt für lokale Produkte und kurze Wertschöpfungsketten zu entwickeln, vor allem in den Bereichen Düngemittel, Bauwesen und Futtermittel.

CONTRA (Conversion of a Nuisance to a Resource and Asset) wurde von Partnern aus Deutschland, Polen, Dänemark, Schweden, Russland und Estland durchgeführt und wurde von 2019 bis Juni 2021 vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziell unterstützt.

Die Projektergebnisse und -berichte sind online abrufbar: https://www.beachwrack-contra.eu

 

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